Meinung | Auf keinen anderen Film haben Actionfans dieses Jahr so gespannt gewartet wie auf "John Wick: Kapitel 4". Doch leider enttäuscht der Film auf ganzer Linie, wie unser Redakteur findet.
Es gibt eine Szene in "John Wick: Kapitel 4", die exemplarisch für den gesamten Film, wenn nicht sogar die ganze Reihe, steht. Kurz vor dem Finale muss die Titelfigur, gespielt von Keanu Reeves, über 200 Stufen erklimmen, um zur Pariser Kathedrale Sacré-Cœur zu gelangen. Dort erwartet ihn der Hauptbösewicht nämlich zum Duell. In typischer John-Wick-Manier ist die Treppe aber von Hunderten Auftragskillern gesäumt. Die räumt der Held natürlich gekonnt mit seinen Fäusten und seiner Pistole weg. Als er dann aber oben ankommt, wird er umgetreten und kugelt alle Treppen wieder hinunter. Er rafft sich aber wieder auf und das Schlachten geht von vorne los. Das passiert noch etwa zwei- bis dreimal, bis John Wick schließlich oben ankommt.
Zu diesem Zeitpunkt hat man bereits ca. 150 der 169 Minuten, die "John Wick: Kapitel 4" dauert, hinter sich. Und man ist müde – ähnlich wie der Held selbst. Ein Stöhnen kann man sich also nur schwer verkneifen, wenn er die Treppe hinunterrasselt. Denn zu diesem Zeitpunkt will man eigentlich nur, dass dieser Film endlich zu Ende ist. "John Wick 4" ist nämlich eine knapp dreistündige Actionsequenz, die trotz all ihrer Brutalität sehr blutleer daherkommt und mehr langweilt als unterhält.
Darum geht's in "John Wick 4"
Die Handlung von "John Wick: Kapitel 4" lässt sich relativ leicht zusammenfassen. Ist sie doch im Kern die gleiche wie in den beiden Vorgängern. Nach dem Verrat an der Hohen Kammer ist John Wick wieder (oder immer noch) auf der Flucht. Und seine Liste an Verbündeten ist kurz. Denn jedem, der ihm hilft, droht der Tod.
Dafür sorgt der neue Oberschurke: Marquis de Gramont (Bill Skarsgård). Der hat von der Hohen Kammer alle Vollmachten bekommen, um John Wick den Garaus zu machen. Einem derart mächtigen Gegner sah sich der Ex-Auftragskiller noch nicht gegenüber. Und so beginnt eine mit Leichen gepflasterte Hetzjagd über den ganzen Globus.
"John Wick 4" verschenkt seine Stärken
Eigentlich handelt es sich bei "John Wick: Kapitel 4" um ein Phänomen. Ist der Film doch eine knapp dreistündige Actionsequenz, in der sich eine Ballerei und Prügelei an die nächste reiht. Mehr will man von einem Actionfilm ja nicht, oder? Das stimmt, allerdings müsste die Action dafür gut sein. Bei "John Wick 4" ist das leider nicht der Fall. Was traurig ist, schließlich ist die Action seit Teil 1 von 2014 das Aushängeschild der Reihe. Doch bei Teil 4 scheint nun jegliche Kreativität verpufft zu sein. Alles, was einem hier in puncto Action geliefert wird, hat man entweder schon tausendmal gesehen oder ist so drüber, dass man manchmal meint, man gucke einen "Fast & Furious"-Film. Was witzig ist: Denn das Action-Herzstück ist die Hetzjagd durch Paris, die in einer Art Autoschlacht inklusiver wilder Ballerei am L'Arc de Triomphe kulminiert. Und die ist an Absurdität kaum zu überbieten. Leider beeindruckt und unterhält das alles nicht, sondern langweilt.
Dabei hat "John Wick: Kapitel 4" einige fähige Leute an Bord, die Action können. Doch leider verheizt der Film Größen wie Hiroyuki Sanada ("Last Samurai") und allen voran Martial-Arts-Legende Donnie Yen ("Ip Man"), dass sie fast schon wie Karikaturen ihrer selbst wirken. So spielt Yen beispielsweise einen blinden Ex-Auftragskiller, der trotz seines fehlenden Augenlichts reihenweise Gegner ummäht. Seine Kampfszenen gehören zwar zum Besten, was "John Wick 4" zu bieten hat. Doch wirklich cool ist er auch nicht. Vielmehr ist Yens Figur so überzeichnet, unrealistisch und von Klischees überladen, dass sie größtenteils unfreiwillig komisch wirkt.
Hauptdarsteller Keanu Reeves geht hingegen langsam die Luft aus – was bei einem Alter von 58 Jahren auch nicht überrascht. Doch man merkt bei den Kampfszenen deutlich, dass er langsamer wird. Da nimmt man ihm den Typen nicht mehr wirklich ab, der Hunderte Top-Killer ausschaltet und danach immer noch wie aus dem Ei gepellt aussieht. Auch seine Wortkargheit wird in "John Wick: Kapitel 4" auf die Spitze getrieben. Keanu Reeves hat von allen Figuren in diesem Film gefühlt den mit Abstand geringsten Redeanteil – so als hätte er eigentlich keine Lust mehr auf den ganzen Zirkus. Gleiches gilt für Laurence Fishburne. Seine Figur des Bowery King ist auch nur noch dabei, dass sie dabei ist. Der einzige Schauspieler, der hier Spaß oder Motivation zu haben scheint, ist Ian McShane alias Winston.
John Wick 4: Die Welt der Auftragsmörder wird immer kurioser
Ähnlich hilf- und planlos geht "John Wick 4" mit seinen neuen Figuren um. Bill Skarsgård gibt einen arroganten und eindimensionalen Schurken ab, der zwar immer sagt, wie mächtig, tödlich und böse er ist. Doch viel merkt man davon nicht. John Wick ist ihm ständig einen Schritt voraus. Eine wirkliche Bedrohung stellt der ach so mächtige Marquis de Gramont also nicht dar. Vielmehr untergräbt er die Autorität und die Gefahr, die in den vorherigen Teilen von der Hohen Kammer ausgingen. Das gleiche Problem hat der neue Killer namens The Tracker (Shamier Anderson). Auch er gibt die ganze Zeit an damit, was für ein krasser Typ er ist. Doch gefährlich wird er John Wick ebenfalls nie. Speziell bei ihm fragt man sich, warum er überhaupt in "John Wick: Kapitel 4" ist. Würde man die Figur rausstreichen, hätte das überhaupt keine Auswirkung auf den Film. Außer, dass er dadurch kürzer würde, was ihm guttäte. "John Wick 4" ist nämlich gut eine Stunde zu lang.
Das liegt unter anderem auch daran, dass hier wie schon in Teil 2 und 3 die Welt der Auftragskiller weiter ausgebaut wird. In den beiden Vorgängern war es noch größtenteils charmant und spannend, dieses Mysterium zu erkunden. Doch in "John Wick: Kapitel 4" wird diese Welt immer absurder und peinlicher. Man fragt sich eher, warum diese vermeintlich geheime Parallelwelt eigentlich noch niemand entdeckt hat. So offensichtlich wie sie sich der Öffentlichkeit präsentiert und Sehenswürdigkeiten wie den Eiffelturm für Treffen und Duelle blockiert. Außerdem gibt es jede Menge Widersprüche und neue Regeln, die absolut sinnlos sind. Irgendwann ertappt sich der Film sogar selbst mit seiner Planlosigkeit und stellt tatsächlich die Frage, warum John Wick eigentlich macht, was er macht. Als Antwort wird dann seine tote Frau aus dem Hut gezaubert, die in den letzten beiden Filmen keine Rolle gespielt hat. Wirklich Sinn ergibt das also auch nicht.
"John Wick 4" verkommt zur Karikatur
Am Ende lässt sich "John Wick 4" gut mit dem berühmten Zitat aus "The Dark Knight" zusammenfassen: "Entweder stirbt man als Held oder man lebt so lange, bis man selbst zum Bösen wird." An sich war das abzusehen. War Teil 1 noch ein simpler Rachefilm, wurden die ersten beiden Fortsetzungen schon zunehmend absurder. Hier war die Action aber wenigstens noch kreativ. Man denke nur an den Kill mit dem Stift. "John Wick: Kapitel 4" hat nichts dergleichen. Der Film ist in puncto Action zwar immer noch besser und vor allem stylisher als der Großteil, der einem heutzutage in diesem Genre angedreht wird. Doch am Ende wurde er Opfer seines eigenen Rufs und lässt gute Ideen vermissen. Spätestens mit seiner absurden Geschichte ist "John Wick: Kapitel 4" leider zu einer Art Karikatur seiner selbst geworden.
Die Reihe hätte also viel früher enden sollen. Und vielleicht tut sie das ja jetzt. "John Wick 5" ist aktuell nämlich noch nicht beschlossene Sache, wie es eigentlich lange hieß. Und das Ende von Teil 4 ist, obwohl der Showdown ziemlich enttäuschend ist, im Kern zufriedenstellend. Eine weitere Fortsetzung könnte also nur noch enttäuschen, denn mehr gibt es über John Wick eigentlich nicht zu erzählen. Doch wie eine Post-Credit-Sequenz andeutet, könnte ohnehin an einem Ableger gearbeitet werden. Ein Spin-off ist ja bereits bestätigt: "Ballerina" mit Ana de Armas. Hoffentlich kehrt da die Kreativität der "John Wick"-Macher wieder zurück.
"John Wick: Kapitel 4" startet am 23. März in den deutschen Kinos.