«Israel hat keine Existenzberechtigung» | NZZ (2024)

Leila Khaled war einst die Ikone des palästinensischen Widerstands. Dem Terror hat sie abgeschworen, aber am Kampf für Palästina hält sie fest. Einen Staat Israel gibt es in ihrer Welt nicht.

Ulrich Schmid, Amman

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Auch Revolutionäre kommen in die Jahre. Ein Hündchen, eine philippinische Nanny, Fotos der Enkel im Silberrahmen – es sieht aus wie bei den Eheleuten Meier-Müller. Doch die hier wohnt, hat die Welt in Atem gehalten. Leila Khaled war die erste palästinensische Flugzeugentführerin und ist bis heute Mitglied der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), die im Westen meist als Terrororganisation gilt. Einen angenehmen Raucherbass, ein freundlicher Handschlag, und dann erinnert sich die 72-jährige Revolutionärin erst einmal gerne an ihren umstrittenen Auftritt an der Maifeier 2001 in Zürich. Zaatar, das Hündchen, hört aufmerksam mit. Zaatar ist der wilde Thymian Nordafrikas. Das Hündchen ist scheu und zahm.

Anweisungen in letzter Sekunde

Leila Khaled wurde auf einen Schlag berühmt, als sie am 29. August 1969 zusammen mit anderen eine Boeing der TWA, unterwegs von Rom nach Tel Aviv, nach Damaskus entführte. Möglicherweise hatte die PFLP-Führung gehofft, Yitzhak Rabin, damals der israelische Botschafter in den USA, sei an Bord, man weiss es nicht. Der Pilot musste über Haifa nach Syrien fliegen: Der Anblick ihrer «besetzten» Heimatstadt habe sie zutiefst berührt, sagt Khaled. In Damaskus wurden die Passagiere freigelassen, die Maschine gesprengt. Die israelischen Fluggäste kamen allerdings erst mit Verzögerung frei. Die vier Frauen durften nach zwei Tagen gehen, die Männer wurden erst im Dezember gegen syrische und ägyptische Kriegsgefangene ausgetauscht.

In grossen Teilen der muslimischen Welt, aber auch in linksradikalen, propalästinensischen westlichen Kreisen wurde Khaled mit dieser Tat zur Ikone. Dass kurz darauf ihr legendäres Porträt des Fotografen Eddie Adams erschien, das sie mit Kalaschnikow und verschmitztem Lächeln zeigt, erleichterte vielen die Identifikation beträchtlich.

Khaled sonnt sich indes nicht im Kultstatus. Sie gibt sich betont bescheiden – ein später Versuch, der Verantwortung auszuweichen? Eine Soldatin des revolutionären Kampfes sei sie gewesen, eine Befehlsempfängerin, die nie in die Planung mit einbezogen worden sei. Deshalb könne sie auch keine Details zum Anschlag auf die am 21. Februar 1970 in Würenlingen abgestürzte Swissair-Maschine nennen. Ahmed Jibril, der Chef des Generalkommandos der Volksfront, habe ihr stets gesagt, er habe mit diesem Attentat nichts zu tun. Oft sei sie erst in letzter Sekunde instruiert worden, so am 6. September 1970, als sie zusammen mit Patrick Arguello eine El-Al-Maschine entführt habe. Sie habe Arguello – ein Amerikaner mit nicaraguanischen Wurzeln – erst auf dem Flughafen Amsterdam kennengelernt. Diese Entführung scheiterte. Der Pilot, Uri Bar Lev, liess die Maschine absacken, niemand konnte stehen, es kam zu Handgreiflichkeiten. Arguello erschoss einen Steward und wurde dann von einem israelischen Sicherheitsbeamten erschossen. Khaled insistiert, deutlich empört, ihr Partner sei, bereits überwältigt und am Boden liegend, kaltblütig getötet worden.

USA unter Generalverdacht

Leila Khaled hat dringende Anliegen. Am wichtigsten ist ihr dies: Sie habe nie jemanden getötet, und überhaupt hätten die damaligen Gruppen keine Unbeteiligten umbringen, sondern mit «spektakulären Aktionen» auf den Kampf des palästinensischen Volks aufmerksam machen wollen. Man habe Flugzeuge entführt, um Genossen freizupressen, Attentate auf Flugzeuge hätten nicht zum revolutionären Instrumentarium gehört. Das lässt sich nicht von der Hand weisen. Tatsächlich sind die Attentate auf die Flugzeuge der Swissair und der Austrian Airlines vom 21. Februar solitäre Ereignisse, Ausreisser, die nicht zum sonstigen Vorgehen der revolutionären Gruppen passen.

Die heutige Politik kommentiert Khaled mit abgeklärten Seufzern. Die islamistischen Hetzer und Kriegstreiber im arabischen Raum hasst sie, auch und gerade als Frau. Sie entstammt der Welt der dezidiert linken Befreiungsorganisationen der Siebziger, denen Religion Opium fürs Volk war und die Frauen emanzipieren, nicht kujonieren wollten. «Was für ein Elend» seien doch diese eifernden, dummen Gläubigen aller Denominationen.

Schuld am Erstarken von Gruppen wie der Kaida und der Terrormiliz Islamischer Staat tragen aber in Khaleds Weltsicht zuallererst die USA, die den ganzen arabischen Raum durch Religionskriege «spalten» wollten, um dann im verbrannten Erdreich neue Staaten wachsen zu lassen: konfessionell konstituierte, schwache Gebilde. Zweck dieser gigantischen Umgestaltung soll einzig die Legitimation Israels sein. Wenn alle Staaten religiös legitimiert sind, ist folgerichtig auch der Judenstaat legitimiert. Ist das nicht etwas gar viel Arbeit für ein Ziel, das sich auch einfacher erreichen liesse? Betört man mit solcher Logik die Muslime? Das sind nicht die richtigen Fragen. Khaled bleibt bei ihrer Theorie.

Unklarheiten gibt es wenige in der Welt der Revolutionärin. Israel hat keine Existenzberechtigung. Militante Aktionen gegen Israel sind deshalb in Ordnung. Die Beziehungen der Volksfront zu Mahmud Abbas, dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, sind schlecht, die zur Hamas ebenfalls. Die palästinensische Einigkeit ist wichtig, man muss für sie kämpfen. Der Zionismus hingegen muss bekämpft werden. Die Welt muss begreifen, dass «wir die Opfer sind» und nicht die Israeli. Terroristen sind nicht sie, Khaled, und ihresgleichen, sondern der Mossad. Gegen die Juden hat sie nichts. Im demokratischen, säkularen palästinensischen Staat, der Khaled vorschwebt und der das ganze Gebiet Israels und des Westjordanlands umfassen soll, könnten auch Juden leben. Wir haben schon richtig gehört: in einem «palästinensischen Staat»? Richtig. «Wir sind die Vertriebenen. Das Land gehört uns.»

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